"Neben Horst Kudritzki hat das RBT-Orchester nun einen zweiten Dirigenten , Erwin Lehn, den bekannten Komponisten und Pianisten. Am 26. Juni 1948 stellte sich das RBT unter Lehn das 1. Mal in einer Matinee im Funkhaus vor. Es wurde ein fast durchweg neues Programm mit viel deutschen Nummern angeboten. Einige amerikanische wurden durch deutsche Übersetzungstitel im Programmheft und in der Ansage bezüglich ihres Ursprungslandes verschleiert. Warum eigentlich? Musik ist doch völkerverbindend und Karin Jurow spricht so gut englisch."
(Zeitschrift "Melodie", 8/1948)

Im Vorwort des 'AMIGA Schlager Archive 1947-1957, 3.Ausgabe' zitiert Werner Sellhorn aus der 'RBT-Story' von Joachim Schütte:

"Im Jahre 1949 beginnt die Lage des RBT-Orchesters schwieriger zu werden. Als erstes wird am 9. Januar die charmante Sprecherin der 'verbindenden Worte des RBT-Orchesters' Karin Jurow wegen 'Reorganisation' entlassen. Über Auftrag, dem RBT-Orchester einen 'fortschrittlichen' Stil aufzuzwingen, stolpert der Leiter der Musikabteilung von Radio Berlin, Goldschmidt. Er wird am 1.März entlassen. An seine Stelle tritt Nationalpreisträger Helmut Koch, der sofort alle englischen Titel verbietet ... .
... Selbst mit deutschen Schlagern eckte Horst Kudritzki nun an. Adolf Steimels 'Ich träume oft, ich säße auf dem Mond' wird kurzerhand verboten mit der Begründung, der Text bringe 'Weltfluchttendenzen' zum Ausdruck. Alle Texte, in denen 'Mondschein', 'Park','Tränen' vorkamen, werden in den Bann getan. Nur noch negative Hörerbriefe wurden an das Orchester weitergegeben, die guten verschwanden ... .
... Im Jahre 1950 kam das Ende des RBT-Orchesters. Jean Kurt Forest hatte in mehreren Sendungen die Leitung des Orchesters übernommen. Er wollte ein neues, sozialistisches Orchester daraus machen ... Folgende Aussprüche stammen von ihm:
"Es ist nicht mit dem fortschrittlichen Geist in der DDR zu vereinbaren, wenn wir Tanzmusik machen, wie unsere Klassenfeinde in Amerika" und
"Wir müssen jeden westlichen Einfluß aus dem RBT-Orchester herauspressen, selbst wenn wir eine hydraulische Presse dazu brauchen sollten!"
... Am 3.Mai 1950 überreichen Erwin Lehn und Horst Kudritzki ihre Kündigungsschreiben im Berliner Funkhaus, und am nächsten Tag kündigten die Musiker geschlossen ebenfalls. Zu allem Überfluß erhielten dann Horst Kudritzki und Erwin Lehn am 5.Mai um 22 Uhr durch Boten auch noch ein Kündigungsschreiben des Berliner Rundfunks."

1951 wird die AWA gegründed: Eine Urhebereinrichtung der DDR, die Anstalt zur Wahrung der Aufführungsrechte auf dem Gebiet der Musik.

Im Jahre 1953 wurde auch AMIGA ein 'Volkseigener Betrieb':

"Die besondere Bedeutung des Betriebes, der als einzige Produktionsstätte in der DDR Schallplatten herstellt, brachte es mit sich, daß er zunächst volkseigenen Betrieben gleichgestellt und schließlich am 1.4.1953 ganz in Volkseigentum überführt wurde."
(aus 'Das Musikleben in der DDR (1945-1959)', Prof.Dr. Karl Laux)

Werner Sellhorn vermutete im Vorwort des 'AMIGA Schlager Archiv 1947-1957, 5.Ausgabe':

"Ein Großteil der frühen Bänder könnte 1953 dem Zorn des ersten Chefs der "Lied der Zeit GmbH", Ernst Busch, zum Opfer gefallen sein. Dessen Rache für die Enteignung seiner Firma, die in einen Volkseigenen Betrieb umgewandelt wurde, soll - so geht die Legende - darin bestanden haben, daß er im Heizungskeller der Firma unzählige unersetzliche Originalbänder ins Feuer warf."

Ebenfalls im Vorwort des 'AMIGA Schlager Archive' spricht Werner Sellhorn von dem "sogenannten 'Neuen Kurs' nach dem 17.Juni 1953", der "gewisse Lockerungen bewirkte". Was darunter konkret zu verstehen ist, wird leider nicht geasgt. Aber ich fand folgende Aussage:

"Der Verkehr der Intellektuellen der DDR mit den Intellektuellen Westdeutschlands ist entsprechend dem neuen Kurs der Partei zu fördern."
(Otto Grotewohl, 15. Tagung des Zentralkomitees 24.-26.7.1953)

"[Hansgeorg] Mühe stellt für den Beginn der fünfziger Jahre einen deutlichen 'Rückgang hinsichtlich der stilistischen Breite, der Quantität und auch der Qualität' der Popularmusik fest. Er führt das auf den 'Aufbau der Musikschulen und Musikhochschulen, die Wiedereröffnung von Opern- und Operettentheater [und] dem Wiederaufbau der Sinfonieorchester' zurück, zu denen sich die Musiker hinwandten und damit von der Popularmusik weitgehend abließen. 'Die Musik folgt dem TREND dieser Jahre: Sentimentale, leicht kitschige Schlager überwiegen." (aus 'Aspekte der Geschichte des Schlagers in der DDR', Tobias Feilen - bezugnehmend auf einen Beitrag von H. Mühe zur ASPM-Jahrestagung vom 6. bis 8. November 1992 in Leipzig)

Wurde dieser TREND der Traumfabrik 'Schlager' jemals gebrochen ? Solange sich der Schlager fast ständig in einer illusionären Welt bewegt, wird er wohl immer an der Grenze zwischen Kitsch und Kunst leben. (?)

Im November1957 erscheint die Zeitschrift "Melodie und Rhythmus". Drei Zitate aus der 1. Ausgabe möchte ich vorstellen:

Günter Frieß:
"Eine der Ursachen, daß die westlichen Tänze noch allgemein überwiegen, sehe ich darin, daß unser Nachwuchs noch nicht in der rechten Weise gefördert wird. Es ist auch an der Zeit, die verderbliche Cliquenwirschaft an vielen Institutionen zu beseitigen."

Horst Werner:
"Unser Repertoire enthält auch viele Stücke von Komponisten aus der DDR, denen es aber im Vergleich zu vielen westlichen Titeln oft an der nötigen Durchschlagskraft fehlt. Die Ursache ist meines Erachtens kaum in der Qualität zu sehen, sondern eher darin, daß im Westen eine viel stärkere Propaganda von seitens der Plattenfirmen und des Films stattfindet. ..."

In der folgenden Ausgabe der Zeitschrift kann man lesen, daß in Westdeutschland täglich 10 neue Schlager produziert werden und dreiviertel der 25 Millionen in Westdeutschland hergestellten Schallplatten Schlagermusik bringen.(... wir schreiben das Jahr 1957 ...!)

Willi Hoffmeister:
"Unsere Jugend hat natürlich einen Anspruch auf moderne Musik, sie hat aber auch die Verpflichtung, sich beim Tanzen anständig zu verhalten"

Ob seine Enkel heute an der 'Love Parade' teilnehmen?

In der 2. Ausgabe Dezember 1957 der Zeitschrift 'Melodie und Rhythmus' fand ich zu einem schwierigen Thema einen (wie ich finde) schönen Artikel, der mich immer wieder zum Lächeln bringt:

"Sorgenkind Schlagertext :

Der Schlager ist Bestandteil der leichten Muse. Wir sehen ihn aber nicht, wie bestimmte 'Kunst'-fabrikanten des Westens als ein idiologisches Hilfsmittel zur Verdummung und Ablenkung der breiten Masse von der Realität des Lebens an, sondern fordern von ihm, ... ein realistisches Abbild der Welt zu liefern. ...

Man kann selbstverständlich nicht in einem Schlager davon singen, daß beim 1. Kuß der Mond golden das - sagen wir - Kombinat Böhlen überglänzt habe. ...
Es gibt Naturschönheiten unserer Heimat ...; es gibt nicht nur Jonnys als Matrosen, nicht nur 'Amore', sondern auch 'Liebe', nicht nur glutäugige Senoritas, sondern auch sehr charmante Verkäuferinnen im Warenhaus der HO . ...

Das Vorbild des künftigen Schlagertextes muß anders wo liegen:
im zündenden, humoristischen Couplet und im leiseren, zarteren, gepflegten Chanson."
(von Wolfgang Carle)

Das Thema wird später erneut in dieser Zeitschrift behandelt. Diesmal mit einem Leserbriefe:

"Sorgenkind Schlagertext :

'Wir sind',schreiben uns aus Leipzig Monika S. und Karin S., 'davon überzeugt, das Schlager wie 'Cindy,o Cindy' viel mehr Anhänger finden, als wenn die HO-Verkäuferinnen besungen werden. Diese Art würde viel zu nüchtern klingen.'

Was steckt hinter der etwas ungeschickt und verschämt formulierten Befürchtung der Nüchternheit 'dieser Art'? Nichts als eine gewisse abwehrbereite Angst vor der 'Politisierung' des Schlagers. Aber selbst auf die Gefahr hin, die beiden jungen Damen aus Leipzig zu schockieren: Der Schlager ist grundsätzlich (wie jede Kunst) ein Politikum - ohne daß im Text Finanzwirtschaft oder Schwermaschinenbau mit einer Silbe erwähnt werden müßten ...

... und was die 'nüchterne' HO-Verkäuferin betrifft: Es ist keinesfalls notwendig, daß das Wort überhaupt fällt. Man muß sich nur, wenn man einen Schlagertext hört, der von der Liebe eines jungen Mädchens spricht, vorstellen können, daß dieses Mädchen keine in einer irrealen Welt angesiedelte 'Verliebte an sich', sondern eine reale Verkäuferin oder Schaffnerin oder Glühlampenarbeiterin unserer Republik ist."
('Melodie und Rhythmus', 2. Aprilheft 1949)

Ja, es ist schon schwierig mit der Liebe. Aber ich bin mir absolut sicher, daß in so manchem DDR-Schlafzimmer auch eine 'Glühlampenarbeiterin' zur 'glutäugigen Senorita' wurde!

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