10 Jahre nach der Gründung der DDR begann - fast planmäßig - das Jubeln über die Erfolge :
"Peter Czerny: Geschichte des DDR-Schlagers
Es ist geschehen, was die Bosse der westlichen Schlagerindustrie nie glauben wollten: Wir haben eine eigene Tanzmusik!
Wir haben sogar einen neuen Tanz, den Lipsi, der im Ausland - sowohl in den sozialistischen Staaten als auch in
Dänemark, Schweden und England - mit lebhaftem Interesse aufgenommen wurde."
(Zeitschrift "Melodie und Rhythmus",2.Heft, 9/1959)
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Aber es gab auch andere interessante Diskussionsbeiträge - ein Beispiel von
Walter Kubiczek:
"Walter Kubiceck sprach (auf der Tanzmusikkonferenz in Lauchhammer) unter anderem über zwei
Extreme, die wir in der Entwicklung unserer Tanzmusik meiden sollten: 'Ich möchte mich darauf beziehen, daß auch im
Referat diese Fragen beleuchtet worden sind. Da ist zunächst das eine Extrem: die Fluch in die Kompliziertheit. (Ausdruck
einer solchen Richtung sind unter anderem teilweise die Interpretationen der Radio-DDR-Studio-Band unter Walter
Eichenberg und in wenigen Fällen auch die des Günter-Oppenheimer-Swingtetts.) Ich möchte keine Lanze für die
Leipziger Kollegen aus dem Orchester Kurt Henkels brechen, möchte aber einige Worte sagen, wie die Kollegen auf
diesen Weg gerieten.
Sie wollten damit dokumentieren, daß sie die Primitivität, die einen Teil unserer Tanzmusik kennzeichnet, nicht mitmachen
wollten, und sind dabei in das andere Extrem verfallen, eine Musik zu schreiben, die konstruiert und intellektualisiert
wirkt. Wir haben versucht, mit den Leipziger Kollegen zu sprechen und sie auf die Gefahren einer solchen Entwicklung
hinzuweisen. Allerdings sollten wir nicht übersehen, daß das andere Extrem, eben die Primitivität, nicht weniger
gefährlich ist. Weiterhin sehen unsere Tanzmusikprogramme im Rundfunk zum Teil heute noch folgendermaßen aus:
Erst kommt ein Schlager, den man als primitiv bezeichnen muß und der beim Publikum ankommt, dahinter erscheint dann
eine konstruierte Musik, die die geschmacksverbildende Wirkung der primitiven Tanzmusik aufheben soll, es aber nicht
kann. Beide Richtungen sind gefährlich. Meines Erachtens besteht die große Aufgabe unserer Tanzmusikkomponisten
darin, daß sie in unserem neuen Tanzlied Popularität und handwerkliche Gekonntheit zusammenklingen lassen. Ich
spreche deshalb über dieses Problem ausführlicher, weil es nur dann in der Praxis verwirklicht werden kann, wenn es
theoretisch erkannt wurde.' "
(aus 'Melodie und Rhythmus', 1. Juniheft 1959)
Ein ganz anderes Problem zeigt folgender Leserbrief des Jahres
1960 :
"Rabe-Quartett:
'Man kann unserer Notenproduktion (Lied der Zeit und Harthverlag) einen bitteren Vorwurf nicht
ersparen. Warum kommen ständig die Hinweise durch den Funk, besonders durch die Schlagerrevue von
Heinz Quermann: Die Noten sind im VEB Lied der Zeit bzw. Harthverlag erschienen; während in Wirklichkeit
die Noten im Handel noch gar nicht zu haben sind. Wir weisen Musikwünsche nach Titeln, die zur verbotenen
Einfuhr zählen, zurück; dann werden Wünsche aus dem Programm unseres Rundfunks geäußert - doch uns
fehlen die Noten.'
Die Antwort der Redaktion:
...Wir sprachen daraufhin mit den Verlagen. Sie erklärten uns, daß es in der zweiten Hälfte des vorigen Jahres
Schwierigkeiten durch die nicht terminmäßige Lieferung von Papier gegeben hat. Beide Verlage bemühen sich
sehr, die entstandenen Verzögerungen aufzuholen."
(Zeitschrift "Melodie und Rhythmus",2.Heft, 2/1960)
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Als 'besonders schwerer Fall der Programmfälschung' und Verletzung der Anordnung
vom 2.1.1958 ("60:40") wird folgendes geschildert:
"... Bei dem am 2.5.1959 im Carola-Kulturhaus, Aue, durchgeführten Tanzabend kündigte er
(Hans Winkelmann) einen Westschlager an und bat, danach nicht zu tanzen. Während des Schlagzeugsolos
gebärdeten sich die Zuhörer wie die Wilden; sie pfiffen und johlten. Nach Schluß des Schlagers sagte Winkelmann
zum Publikum: 'Ich würde gern solche Melodien weiterspielen, aber mir sind die Hände leider gebunden, leider, leider.'
Der Rat des Bezirkes Karl-Marx-Stadt hat dem Kapellenleiter Hans Winkelmann die Ausübung von Tanz- und
Unterhaltungsmusik auf unbeschränkte Dauer untersagt und ihm den Berufsausweis entzogen. In der Begründung
heißt es: 'Durch sein Verhalten hat Winkelmann die Gesetze der DDR und das Ansehen unseres Staates bei der
Wahrung international anerkannter Urheberrechte verletzt, den kulturpolitischen Zielen der Arbeiterklasse geschadet, unsere
Jugend negativ beeinflußt und das öffentliche Ansehen der Tanzmusik herabgesetzt.' "
(Zeitschrift "Melodie und Rhythmus",2.Heft, 4/1960)
ABER: Winkelmann war wahrscheinlich nicht der Trompeter, aus der kleinen Geschichte von 1948 -
denn das geschah in Bitterfeld (Sachsen-Anhalt)
und gehörte sicherlich auch keiner der Kapellen der 70iger/80iger Jahre an,
die auf den Tanzveranstaltungen spielten, die ich besuchte - denn diese spielten mindestens 80% Westschlager.
Der Pertutti - ein neuer Gesellschaftstanz !
Leider fand ich (noch) kein Musikbeispiel.
"Wie er aus der Taufe gehoben wurde:
Etwa ein Dutzend, mehr oder weniger seriöse Herren, Kompositeure, Tanzpädagogen und Kulturfunktionäre
saßen wieder einmal in trautem Kreise zusammen und zerbrachen sich die Köpfe,... . Schon wollte das Consilium
gesenkten Hauptes die nächste HO-Gaststätte aufsuchen, da setzte sich Rolf Zimmermann ans Pianoforte, spielte
eine achttaktige Periode und 'Heureka' rief der gemischte Chor, 'das ist er!' Mit einem Tonband eilten die Tanzlehrer
flugs in ihre heimatlichen Gefilde zurück. ... Das Tanzlehrerehepaar Seifert aus Leipzig schoß, wie auch schon
seinerzeit beim Lipsi, den Vogel ab. Seine Tanzschritte wurden ... bei den Arbeiterfestspielen in Zwickau zum ersten
Male vorgeführt. Der neue Tanz wurde wurde dort zu einem ausgesprochenen Erfolg. Dieser ist wahrscheinlich ...
besonders darauf (zurückzuführen), daß im Gegensatz zu den üblichen Paar-Tänzen ein Gemeinschaftstanz, ein
geselliges Tanzspiel, entstanden war, bei dem die Partner ständig wechseln, was allen beteiligten viel Spaß machte."
(Zeitschrift "Melodie und Rhythmus",1.Heft, 8/1960)
"Der Pertutti - ein Tanz für fröhliche Leute:
Während verschiedene Zeitungen ihre Leser noch aufforderten, nach einen Namen für den neugeschaffenen
Tanz zu suchen, saß der Komponist bereits in unserer Redaktion und überlegte hin und her, wobei scherzhafte
Bezeichnungen wie 'Zwicki', vom Uraufführungsort ausgehend, oder 'Ziro', also Abkürzungen des Namens Rolf
Zimmermanns, keine unwesentliche Rolle spielten. Endlich schlug der Komponist zur Erleichterung aller mit der
Faust auf den Tisch und rief: 'Ich hab's, PERTUTTI soll er heißen!' Und in der Tat, dieser Name trifft den Nagel
auf den Kopf: Es ist dem Italienischen entlehnt, besteht eigentlich aus zwei Wörtern, per und tutti, und heißt
ins Deutsche übersetzt 'Für alle'.
... Wobei der Vollständigkeit halber zu erwähnen ist, daß wir es beim 'Pertutti' ... nur mit einer einzigen Komposition
zu tun haben. Es ist also nicht beabsichtigt, wie beispielsweise beim Lipsi, zu einem besonders geartetem Rhythmus
weitere Melodien zu schreiben. ..."
(Zeitschrift "Melodie und Rhythmus",1.Heft, 8/1960)
In der 1. Oktober-Ausgabe 1960 der Zeitschrift "Melodie und Rhythmus" fand ich ein
erstaunlich ausführliches und privates Interview mit Lutz Jahoda. Über mehrere Seiten gab es Fotos aus
seinem Privatleben zu sehen. Lutz Jahoda beim Rasenmähen, in der Hängematte - oder -
beim Sprung in den Swimmingpool. Eine - so scheint es mir - erste, sehr diskrete Image-Montage.
Aber - 'bis in die Tiefe ihrer Seele' wurden DDR-Künstler auch später nie durchleuchtet -
die einen finden's gut - die anderen nicht gut!
... und das ist auch gut so!